© Kordula Kühlem 2022
Nacht über dem Dom
Eigentlich sieht alles ganz einfach aus: Ein tödlicher Sturz eines Kölner Archäologieprofessors über das Geländer eines Laubengangs mitten in – das mag etwas
ungewöhnlich sein – den Kreuzgang der Kirche St. Maria im Kapitol. Doch der Sturz stellt sich als Vergiftung heraus und zu dem einen Mord kommen zwei oder sogar
drei weitere. Ein harter Fall für Hauptkommissarin Kerstin Heller. Noch immer ein bisschen fremd in Köln muss sie nun auf eine Spurensuche durch Kölner Kirchen und
die Vergangenheit – zusammen mit ihrer urkölschen Kollegin Ursula Hohmann. Und auf ihrer Jagd scheint ihnen der Täter immer einen Schritt voraus …
„Jetzt…
…hören Sie endlich damit auf!«
Hier stehe ich in dieser eindrucksvollen
Umgebung dieser wenig eindrucksvollen Frau
gegenüber und versuche, meine Beherrschung
nicht zu verlieren. Das ist mir zugegebenermaßen
mit meinem Ausruf nur mäßig geglückt, was ich
auf ihrem Gesicht sehr gut ablesen kann, dessen
leicht gräuliche Farbe perfekt zum mattgrauen,
altmodischen Haarknoten passt.
Ist das usselig -
um eins der Worte zu benutzen, die ich schnell
und gern aus dem kölschen Sprachschatz
übernommen habe. Da ist einfach alles drin:
ungemütlich, unangenehm, unbehaglich, fies,
eklig ... Und bei dem momentanen Nieselregen im
Dunklen hier am Rhein und für Mitte Oktober
ziemlich kalten Temperaturen ist es einfach nur
usselig. Selbst der wie immer hell angestrahlte
Dom auf der anderen Rheinseite wirkt im
Scheinwerferlicht kalt und abweisend….
Plötzlich stehe ich…
mitten auf der Salzgasse. Die kenne ja sogar
ich, wie wahrscheinlich jeder, der schon mal
in der Kölner Altstadt versackt ist. Das hilft mir
aber wenig, denn von dem Archäologen ist
leider weit und breit nichts zu sehen. Der
kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.
Fieberhaft überlege ich, wohin er
verschwunden sein könnte. Beide Richtungen
der Altstadtgasse sind recht gut zu
überschauen, er muss irgendwo
hineingegangen sein, aber wo? Zögerlich
mache ich ein paar Schritte nach links, als mir
zur rechten Hand ein schmaler Durchlass
zwischen zwei Häusern auffällt. Auf gut Glück
biege ich dort ein und stehe unvermittelt
erneut in einem Innenhof, den ich in dieser
Größe nicht vermutet hätte.
Der Maskierte…
…zieht und entsichert die Waffe erneut, tritt
auf Pater Valantios zu und hält ihm die
Mündung an die Schläfe. Durch den Körper
des Priesters geht ein leichtes Zittern, dann
senkt er leicht den Kopf und beginnt leise
murmelnd zu beten.
Pater Valantios meint das wirklich
ernst, beziehungsweise – und das ist noch
viel schlimmer – geht er wirklich davon aus,
dass unser Unbekannter es ernst meint. Mir
wird plötzlich kalt, einfach nur kalt. Hat hier
und jetzt tatsächlich mein letztes Stündlein
geschlagen? Sollte dann nicht mein Leben an
meinem inneren Auge vorbeiziehen? Aber
nein, nichts zieht, ich habe nur das Gefühl,
innerlich zu erfrieren.
Unsicher…
…schaue ich erst meine Kollegin an, dann
lasse ich den Blick über den Friedhof
schweifen. Im Frühjahr und Sommer ist es
vielleicht wirklich ganz schön hier auf dem
Deutzer Friedhof, aber an einem tristen
Oktobertag wie heute eher nicht. Wobei die
zahlreichen Bäume und Sträucher, die sich im
Nebel nur schemenhaft abzeichnen und
einige Meter weiter komplett von ihm
verschluckt werden, beklemmender wirken
als die vielen Kreuze und Grabsteine.
Menschen sind gar keine zu sehen. Oder? Ist
das ein Schatten hinter dem Busch? Doch je
angestrengter ich in die Richtung starre,
desto mehr verschwimmen die Umrisse im
Dunst.
Den Männern des Totenkopfs…
…sind wir kurz vor der Hindenburg-Brücke
begegnet. Vielleicht hätten wir doch unsere
Nonnengewänder ablegen sollen. Religiöse
Zeichen wirken auf diese gottlosen Streiter
immer provozierend. … Ich habe mich wie
eine Löwin vor meine Gruppe gestellt, ich
habe gebeten und gebettelt, mich selbst
angeboten. Aber sie haben sich für
Magdalena entschieden. Die ganze Zeit habe
ich ihr vom Schreck verzerrtes Gesicht vor
Augen und Bilder im Kopf von dem, was
diese rohen Menschen mit ihr anstellen.
Selbst das Gebet an die Gottesmutter, in
deren Haus am Rhein wir uns geflüchtet
haben, hat mir keine Ruhe gebracht. Auch
nicht der Blick in Gottes ewige Sterne durch
das teilweise eingestürzte Dach, denn nur zu
bald wurden diese wieder verdunkelt durch
die Schatten der Flugzeuge, die erneut ihre
tödliche Last auf unsere Stadt abluden.